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Unser Leben und die Stasi

der Versuch einer Dokumentation
Verfasser: Suche nach diesem Verfasser Kern, Günter (Verfasser); Kern, Eva-Maria (Verfasser)
Jahr: 2021
Verlag: Kamenz
Mediengruppe: Sachliteratur
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Sächsische Zeitung - Kamenz vom 26.10.2021, Seite 15 / Lokales:
Wie die Stasi zwei Kamenzer verfolgte
Was Günter und Eva-Maria Kern in der DDR widerfuhr, ist Teil von Lukas Rietzschels Roman "Raumfahrer". Nun geben sie selbst Einblick in das Erlebte.
Die Fotos sind verwaschen, die Kleidung der Menschen darauf scheint wie aus der Zeit gefallen. Dazu Dokumente mit geschwärzten Passagen und amtlichen Stempeln: MfS - Ministerium für Staatssicherheit. Erst im Sommer erschien der Roman "Raumfahrer" von Lukas Rietzschel, der aus Räckelwitz stammt. Darin geht es um die Geschichte der Kamenzer Familie Kern, die keine gewöhnliche ist - auch durch die Verwandtschaft mit dem berühmten Maler Georg Baselitz.
Das Buch erregte Aufsehen. Nun legen Eva-Maria und Günter Kern mit einer Broschüre nach: "Unser Leben und die Stasi" spielt wieder in Kamenz. "Es ist kein Roman, es ist die Realität", sagt Günter Kern. Aufgeschrieben von ihm und seiner Frau Eva-Maria. Es sei eine authentische Dokumentation zur "Figur Günter Kern" im Roman "Raumfahrer".
Die Broschüre beruht auf persönlichen Aufzeichnungen, Erinnerungen und Recherchen in den Archiven der Gauck-Behörde. Sie gibt auf 70 Seiten bemerkenswerte Einblicke in die Machenschaften des DDR-Spitzel-Apparates und seine Methoden, Bürger auch in Kamenz zu überwachen, zu verfolgen, zu drangsalieren und gegebenenfalls auszuschalten.
Die Zahl der "Informellen Mitarbeiter (IM)" erscheint nahezu unerschöpflich. Sie heißen IM Obst, Müller, Meister. IM Hesse - Anwalt der Familie - liefert sie ans Messer, statt sie zu schützen. IM Gisela war wohl zu geschwätzig und nur kurze Zeit aktiv. IM Liebe habe tatsächlich versucht, Kerns zu entlasten, sei aber eher eine Ausnahme.
Nur die Identität des IM "Zeuge Jehovas" ist bis heute ein Geheimnis geblieben. Oft seien Personen aus dem Bekanntenkreis die Spitzel gewesen, berichtet Kern. Darunter selbst der beste Freund. Er und seine Frau hätten sich später das Leben genommen. So habe es nicht nur unter den Stasi-Opfern schlimme Schicksale gegeben, sondern auch Täter, die bitter endeten - als Opfer der eigenen Ideologie, resümiert Kern.
Zwei Jahre haben Eva-Maria und Günter Kern an der Publikation gearbeitet. Sie holten sich wissenschaftlichen Beistand und juristischen Rat - wegen der Brisanz des Materials. So sind auch Klarnamen handelnder Personen enthalten. Oder lassen sich leicht ermitteln, wie bei IM Meister: Stellvertreter des Kamenzer Vorsitzenden des Rates des Kreises für Wohnungsfragen und Kollege von Stanislaw Tillich, dem späteren sächsischen Ministerpräsidenten, wie Kerns anmerken.
Die Überwachung, so Günter Kern, habe 1959 begonnen, als er mit einer Truppe von Freunden gern nach West-Berlin zum Feiern fuhr. Der "Jugendkreis" stand wohl im Verdacht, er könnte sich zu "einer feindlichen Gruppierung" entwickeln, wie in Stasiakten nachzulesen ist. Noch brisanter wurde die Situation, als Günter Kern Eva-Maria heiratete, deren Vater wegen seiner kritischen Einstellung zum DDR-Staat zwei Jahre im Gefängnis saß.
Die Broschüre berichtet von heimlichen Durchsuchungen der Wohnung und Abhöraktionen. Manches liest sich wie ein schlechter Krimi, etwa wenn in Stasidokumenten MfS-Mitarbeiter über bauliche "Schwierigkeiten" beim Verwanzen der Wohnung - dem "Objekt Ausbilder" - klagen. Oft ist auch vom "OV (operativer Vorgang) Ausbilder" die Rede, wie Kern in den Stasiakten in Anspielung auf seine Arbeit in einer Berufsschule immer wieder bezeichnet wurde.
Kein Wunder, dass die Eltern Günter Kerns damals nicht glauben wollten, was da passiert. Es wäre tatsächlich unglaublich, wenn nicht jedes Detail peinlich genau festgehalten worden wäre. Er sei auch in Briefen an Schweizer Freunde und seinen Bruder Georg Baselitz sehr offen in seiner Meinung zur DDR gewesen, ohne zu ahnen, dass die Stasi mitlas, sagt Günter Kern. In der Akte geht es auch um die Bilder des Bruders und berühmten Malers, der bereits 1958 in den Westen geflüchtet war. Die Stasi versuchte mit allen Mitteln, die Familie auseinander zu bringen.
Im Urlaub oder bei Treffen mit Freunden lagen Stasileute mit versteckter Kamera als unsichtbare Begleiter hinter Hecken. Die Akte gleicht teilweise einem Familien-Foto-Album. Für Kerns bleibt das Ausmaß der Überwachung bis heute unfassbar.
Wegen einer angeblich geplanten Republikflucht wurde das Paar dann festgenommen, aber wieder entlassen. Später sollte Kern durch "Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Haft liquidiert" werden. Das Buch schildert auch, wie die Kinder benutzt wurden, um die Familie unter Druck zu setzen. Sie seien letztlich froh gewesen, die Zeit in der DDR überlebt zu haben. Kern war nach dem Umbruch Kamenzer Vize-Landrat und amtierender Landrat, seine Frau Erzieherin an der Kamenzer Förderschule. Viele der Täter hätten leider keine Rechenschaft für ihr Tun ablegen müssen, resümiert Kern.
Dr. Thomas Widera, Historiker und Mitarbeiter am Sorbischen Institut in Bautzen, schreibt zu der Dokumentation: "Die Schilderung ihrer konkreten Erfahrungen in einem politischen System geht weit über das geschichtliche Faktenwissen hinaus."
Die beiden Kamenzer sagen: "Unsere Broschüre soll ein Beitrag zur geschichtlichen Aufarbeitung der ehemaligen DDR sein - auch im Landkreis Bautzen und der Stadt Kamenz. Dabei denken wir gerade an unsere junge Generation." Sie sollten die DDR so vielschichtig sehen, wie sie war.
Reiner Hanke

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Verfasser: Suche nach diesem Verfasser Kern, Günter (Verfasser); Kern, Eva-Maria (Verfasser)
Jahr: 2021
Verlag: Kamenz
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Systematik: Suche nach dieser Systematik D 910 Kern, G.
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Beschreibung: 70 Seiten, Illustrationen
Schlagwörter: BIOGRAFIE; DDR; STASI; ÜBERWACHUNG; BASELITZ, GEORG; KAMENZ; ERINNERUNGEN
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Sprache: Deutsch
Mediengruppe: Sachliteratur